Forum Unterhaltsrecht 2010 - Nachlese

Anwälte fordern: Die Unterhaltsrechtsreform muss nachjustiert werden

Das war das Ergebnis des "Forums Unterhaltsrecht" der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht am 20. September 2010 in Berlin, auf dem 240 Teilnehmer unmittelbar mitverfolgen konnten, wie die Bundesjustizministerin, der XII. Zivilsenat des BGH und namhafte Repräsentanten der Praxis und Wissenschaft eine Zwischenbilanz aus der Unterhaltsrechtsreform zogen.

Das Auditorium war gut gemischt: Anwälte, Rechtspolitiker, Professoren, Ministerialbeamte aus dem Bundesjustizministerium und dem Bundesfamilienministerium sowie Richter aller Instanzen (darunter fast der gesamte für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH) diskutierten. Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dankte der Arbeitsgemeinschaft dafür, ein Forum für den unmittelbaren Dialog über die dringendsten Probleme nach der Unterhaltsrechtsreform geschaffen zu haben. „Wir sind extra gekommen, um uns die Probleme anzuhören“, betonte Dr. Meo-Micaela Hahne, Vorsitzende des XII. Zivilsenats des BGH.

Die Bandbreite der Referenten war groß: Der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Hans Bertram (Humboldt-Universität Berlin), Prof. Dr. Dr. h.c. Gerd Brudermüller (Vorsitzender Richter am OLG Karlsruhe) und Beatrix Weber-Monecke (Richterin am BGH im XII. Zivilsenat). Auf dem Podium diskutierten Frau Rechtsanwältin Ulrike Börger (Vorsitzende des Familienrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer), Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg (DAV-Gesetzgebungsausschuss Familienrecht) sowie Rechtsanwältin Jutta Wagner (Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes). Dr. Meo-Micaela Hahne (Vorsitzende des XII. Zivilsenates) und Hans-Joachim Dose (stellvertretender Vorsitzender des XII. Zivilsenats) diskutierten engagiert mit. Moderatoren waren die Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der AG Rechtsanwältin und Notarin Ingeborg Rakete-Dombek (Vorsitzende), Rechtsanwältin Eva Becker und Rechtsanwalt Dr. Mathias Grandel. Rechtsanwältin Dr. Ingrid Groß (Vorsitzende des DAV-Gesetzgebungsausschusses Familienrecht) interviewte die Bundesjustizministerin.

Die Familienanwälte des DAV richteten auf dem Forum mehrere Appelle direkt an Gesetzgeber und Rechtsprechung:

  • Eine Übergangsregelung für Alt-Ehen, die jahrzehntelang das Hausfrauen-Modell nach altem Recht gelebt haben und nun von der Reform überrannt wurden: „Früher war es so, als wäre man nie geschieden worden, heute, als hätte man nie geheiratet“, erklärte Rakete-Dombek.
  • Die Darlegungs- und Beweislast für „ehebedingte Nachteile“ sollte zumindest für Ehen von langer Dauer geändert werden.
  • Eine Klarstellung, dass die Befristung des Unterhalts (§ 1578b BGB) nur die Ausnahme sein soll – und nicht die Regel, wie es nicht selten von den Gerichten praktiziert wird.
  • Es muss klar sein, dass auch nach dem 3. Lebensjahr in der Regel Betreuungsunterhalt verlangt werden kann.
  • Die beabsichtigte Einzelfallgerechtigkeit macht beim Betreuungsunterhalt das Ergebnis kaum vorhersehbar. Deswegen wird nach Abschaffung des zu starren Altersphasenmodells ein erweiterter Kriterienkatalog benötigt. Viele Anwälte seien gezwungen, die besondere Betreuungsbedürftigkeit der Kinder im Detail zu betonen („ein bisschen Zappelphilipp kann nicht schaden“).
  • Es müssen schnell die notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, insbesondere Ganztagsbetreuung in Kindergärten und Schulen.
  • Heftig diskutiert wurde über die „Dreiteilung“ bei der Unterhaltsberechnung, über die das BVerfG bald entscheiden wird.
  • Beim Kindesunterhalt haben die Familienanwälte unter anderem angeregt, noch mehr Bedarfspositionen dem Kindesunterhalt zuzuordnen.
  • Eine Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen ist wegen der vielen, durch die umfassenden Reformen aufgeworfenen Fragen unerlässlich.

Der Wunschzettel der Anwältinnen und Anwälte war lang, so lang, dass die Ministerin keine konkreten Zusagen machen wollte. Sie wird aber über die Forderungen nachdenken. Zunächst soll auch die Rechtsprechung der Instanzgerichte bis zum Frühjahr 2011 ausgewertet werden.

Links

  • Zum Programm des Forums Unterhaltsrecht 
  • Zur Pressemitteilung mitsamt Anlage der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht
  • Zum Videoclip über die Pressekonferenz
Forum Unterhaltsrecht – 240 Teilnehmer

Rechtsanwältin Christine Martin, Berlin
Referentin in der DAV-Geschäftsführung und für die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht zuständig