1. Internationaler Familienrechtstag

in Berlin vom 23.-24. Februar 2018.

Die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht hatte zu der Veranstaltung eingeladen, um einen möglichst umfassenden Überblick über die wesentlichen familienrechtlichen Themen wie Scheidung, Kindschaftsrecht und Vermögen mit Auslandsbezug anzubieten. Der Fokus lag auf dem europäischen Recht, aber auch internationales Recht kam zur Sprache. Die Referentinnen und Referenten lieferten zahlreiche Beispiele aus der Praxis.

Internationale Aspekte spielen im anwaltlichen Alltag immer häufiger eine Rolle, ganz besonders im Familienrecht. Dennoch erfährt man an den deutschen Universitäten nur wenig oder gar nichts darüber. Nach dem Studium sei man auf „learning by doing“ angewiesen, konstatierte Rechtsanwältin Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, bei der Begrüßung der mehr als 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es waren aber beileibe nicht nur Berufsanfänger, die an der Veranstaltung teilnahmen. Denn auch für den erfahrenen Familienanwalt oder die kompetente Anwältin ist es überaus schwierig, sich auf internationalem Gebiet zurecht zu finden. Es fängt damit an, das anzuwendende Recht zu finden, es sind eben nicht in jeder Gesetzessammlung zum Beispiel die EU-Verordnungen mit ihren Erwägungsgründen abgedruckt. Das bedeutet mühsame und oft erfolglose Recherchen. Deswegen war es mehr als hilfreich, zunächst in die Grundlagen des Internationalen Familienrechts eingeführt zu werden.

Rechtsanwalt und Notar a.D. Wolfgang Vomberg aus Frankfurt a. M. erläuterte in seinem ausführlichen Vortrag zunächst die Grundbegriffe wie „Kollisionsrecht“, „Ordre Public“, „Statut“ oder „Sachrecht“ und stellte dann zahlreiche Fälle aus seinem großen Erfahrungsschatz vor. Zum Beispiel die Geschichte des deutschen Ehepaares, das in Belgien lebt. Der Mann ist Vorstandsvorsitzender eines Pharmakonzerns und sehr vermögend. Die Frau hat nur geringe Versorgungsanrechte erworben. Die beiden Kinder sind volljährig, als es zur Trennung kommt. Der Mann zieht nach London. Von dort beauftragt er in Deutschland einen Familienanwalt. Er will nach deutschem Recht geschieden werden. Außerdem macht er detaillierte Vorschläge, wie das Vermögen nach der Scheidung aufgeteilt werden soll. Die Frau reagiert darauf zunächst nicht. Stattdessen reicht eine Brüsseler Familienanwältin für sie einen Scheidungsantrag beim Familiengericht in Brüssel ein. Dort wird das Paar auch schließlich geschieden, nach belgischem Recht. Die Familienanwälte, zwei belgische und zwei deutsche, haben vorher einen Auseinandersetzungsvertrag erarbeitet, der zur einvernehmlichen Scheidung führte.

Ein einheitliches Familienstatut gibt es nicht

An diesem Fall machte Rechtsanwalt Vomberg deutlich, welche Fragen sich aufwerfen, sobald ein Auslandsbezug gegeben ist. Welcher Gerichtsstaat ist zuständig, Belgien oder Deutschland? Welches Verfahrensrecht kommt zur Anwendung, welches materielle Recht gilt für die Scheidung und für die vermögensrechtlichen Folgen? Ein einheitliches Familienstatut gibt es nicht, lediglich Regelungen zum anwendbaren Recht in der Ehesache, die „Rom III-Verordnung“. Für den Versorgungsausgleich gibt es keine internationalen Regelungen, keine internationalen Verordnungen oder Übereinkommen, deshalb gilt Artikel 17 EGBGB. Beim Kindesunterhalt und dem Ehegattenunterhalt kommen die EU-Unterhaltsverordnung und das Haager Unterhaltsprotokoll zum Zuge. Im Fall des deutschen Ehepaares wurde belgisches Recht angewandt, weil beide Partner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Brüssel hatten. Das Verfahren hätte aber auch nach Deutschland kommen können, nach Schöneberg. Denn Schöneberg wäre örtlich und international zuständig gewesen, weil beide die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Es gibt also in vielen Fällen mit Auslandsberührung mehrere Möglichkeiten und es ist nicht immer einfach, die beste herauszufinden, erläuterte Rechtsanwalt Vomberg.

Der Kampf ums Kind - Netzwerk der zentralen Behörden

Bei den Kindschaftssachen liegen die Dinge ähnlich kompliziert. Rechtsanwältin Dr. Kerstin Niethammer-Jürgens aus Potsdam sprach über den „Kampf ums Kind - wenn Eltern grenzüberschreitend streiten“. Dabei geht es nicht nur um Fragen des Sorge- oder Umgangsrechts. Auch Kindesentführungen stehen immer wieder auf der Tagesordnung. Hier spielt das Haager Kinderschutzübereinkommen, kurz KSÜ, eine wichtige Rolle oder auch das Haager Kindesentführungsübereinkommen, kurz HKÜ. Wer zu den Vertragsstaaten gehört, erfährt man auf der Internetseite des Bundesamtes für Justiz, das in Bonn seinen Sitz hat. Die Betroffenen müssen sich nicht selbst um die Rückführung des entführten Kindes kümmern, dies wird international durch zentrale Behörden übernommen. In Deutschland übernimmt das Bundesamt für Justiz in Bonn diese Aufgaben. Mit diesem Netzwerk der zentralen Behörden gelingt es, Kinder bei grenzüberschreitenden Entführungen in weniger als einem halben Jahr wieder in ihr Heimatland zurückzuführen, wo dann über Sorge- und Umgangsrecht zu entscheiden ist.

Das Bundesamt für Justiz in Bonn bearbeitet pro Jahr etwa 300 solcher Entführungsfälle. Rechtsanwältin Niethammer-Jürgens beschrieb zum Beispiel den Fall einer Familie mit einem Kind in Kanada. Die deutsche Mutter fühlt sich zunehmend schlecht durch ihren Mann behandelt, er prügelt und schreit. Er sagt in einem Wutanfall, geh doch zurück zu deiner Mutter. Das macht sie dann auch, nimmt das Kind und fliegt nach Deutschland. Sie teilt ihm dies noch auf dem Anrufbeantworter mit und sagt, du weißt ja, wo wir sind. Sechs Wochen später erhält sie einen Brief des Bundesamtes für Justiz. Sie habe gegen den Willen des Mannes, der auch sorgeberechtigt ist, das Kind mit nach Deutschland genommen. Das hätte sie nur tun dürfen, wenn sie allein sorgeberechtigt gewesen wäre. Aber hier handele es sich um einen klaren Fall der Kindesentführung. Das Kind muss wieder zurück nach Kanada. Nicht immer ist die Rückführung zum Wohle des Kindes, auch darüber sprach Niethammer-Jürgens. Es gebe deswegen zunehmend Vergleichsgespräche und auch Mediations-Angebote, zumindest auf europäischer Ebene. Vor allem will man auch den Kindeswillen mehr berücksichtigen, was bisher im internationalen Kontext nur selten der Fall war. Kindesanhörungen wie im deutschen Familienverfahren sind bislang nicht üblich.

Zunehmende Rechtsvereinheitlichung

Über Unterhaltsfragen im internationalen Kontext referierte Rechtsanwalt Argiris Balomatis aus Tübingen unter der launigen Überschrift: „It’s money honey“. Der Inhalt seiner Ausführungen war dann weniger lustig, aber sehr erhellend. Die Europäische Unterhaltsverordnung, das Haager Unterhaltsübereinkommen, das Haager Unterhaltsprotokoll, das Luganer Übereinkommen - zunächst erklärte Balomatis die verschiedenen internationalen Instrumente. Zumindest innerhalb des europäischen Rechtsraums findet eine zunehmende Rechtsvereinheitlichung statt. Aber auch auf der Ebene des Völkerrechts werde eine zunehmende Rechtsangleichung angestrebt, erläuterte Balomatis. Mit dem Haager Unterhaltsprotokoll, kurz HUP, wurde im November 2007 ein entsprechendes Instrumentarium geschaffen. Wie es angewendet wird und welche maßgeblichen Vorschriften das HUP enthält, verdeutlichte Balomatis anhand von zahlreichen Fällen.

Auch im Unterhaltsrecht spielen die zentralen Behörden eine wichtige Rolle, in Deutschland das Bundesamt für Justiz. Die Behörde bietet wertvolle Hilfe, wenn zum Beispiel der unterhaltspflichtige Vater, der irgendwo im mittleren Westen der USA lebt, aufgespürt werden muss. Das Amt hilft auch dabei, sein Einkommen zu ermitteln. Gegebenenfalls muss ein Titel erwirkt und die Zahlungseingänge müssen überwacht werden. Eventuell wird die Zwangsvollstreckung durchgeführt. Das alles wird von Bonn aus durch das Bundesamt für Justiz veranlasst. Entsprechende Hilfe bietet auch das deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht in Heidelberg an.

Europäische Güterrechtsverordnungen

Dem Ehegüterrecht und Versorgungsausgleich bei internationalen Scheidungen widmete sich schließlich Rechtsanwalt Peter Junggeburth aus Berlin. Er gab unter anderem einen Ausblick auf die Anwendung der Europäischen Güterrechtsverordnungen, die der Europäische Rat im Juni 2016 verabschiedete und die am 29. Januar 2019 in Kraft treten. Ihre Einbettung in nationales Recht steht noch an, wird aber voraussichtlich noch im Laufe dieses Jahres erfolgen. An den Anfang seines umfangreichen Vortrags stellte Junggeburth die Kernfrage, wie man es hinbekommt, ein Recht zu finden, das den Betroffenen oder der Ehe gerecht wird.

Vorrang hat immer das Europarecht, nur, wenn das Europarecht es zulässt, kann man auf nationales Recht rekurrieren. Um die schwierigen Herausforderungen des Kollisionsrechts der Güterrechtsverordnung zu erklären, bildete er Beispiele aus dem italienischen, dem schweizerischen oder dem spanischen Kollisionsrecht. Die Rechtswahl steht immer im Vordergrund. Wählbar ist das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines Gatten oder das Recht der Staatsangehörigkeit eines Gatten, wobei dieses Kriterium eine immer geringere Rolle spielt. Wenn keine Rechtswahl getroffen wurde, wird an das Recht des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts nach der Eheschließung angeknüpft.

Die Europäischen Gerichtshöfe

Zu Beginn der Tagung hatte Beate Kienemund, Ministerialdirektorin aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, einen Überblick über die familienrechtlichen Themen gegeben, mit denen sich auch das Ministerium zunehmend befassen muss: Fragen der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit, des anzuwenden Rechts oder der Anerkennung und Vollstreckung der erstrittenen Entscheidungen. Neben den verschiedenen Rechtsquellen sollten auch die Entscheidungen der Europäischen Gerichtshöfe beachtet werden, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg und des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Die Auswirkungen der Rechtsprechung auf unser eigenes Recht seien deutlich sichtbar, erläuterte Kienemund. Zum Beispiel sei die Reform der Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern darauf zurückzuführen, ebenso das Recht zur Stärkung der Rechte des leiblichen nicht rechtlichen Vaters. Der Internationale Familienrechtstag lieferte detailreiche Einblicke in eine überaus komplizierte Materie. Davon profitierten die Anwältinnen und Anwälte mit Grundkenntnissen genauso wie diejenigen, die bereits ganz selbstverständlich mit internationalen Kontexten umgehen.

Begegnungen und Gespräche am Rande der Tagung und in den Kaffeepausen

Die Referent(inn)en und ihr Publikum

Die Moderatorin und der Moderator sprechen die abschließenden Worte…

… mit der Aussicht auf einen nächsten Internationalen Familienrechtstag.

AUF WIEDERSEHEN!