DAT 2022 - Nachlese

Familienrecht auf dem Anwaltstag am 23. 6. 2022 in Hamburg

Der Deutsche Anwaltstag (DAT) fand vom 20. bis 24.6.2022 virtuell und in Präsenz in Hamburg statt – unter dem Motto: „Miteinander für das Recht“. Die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht hatte gemeinsam mit dem Ausschuss Familienrecht eine Veranstaltung mit einem hochkarätig besetzten Podium organisiert. Außerdem wurden bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung die Wahlen zum Geschäftsführenden Ausschuss nachgeholt, die wegen der Pandemie auf der Herbsttagung 2021 nicht hatten durchgeführt werden können.

Herausforderungen der Reproduktionsmedizin für das Familienrecht

Die Arbeitsgemeinschaft befasste sich nicht zum ersten Mal mit dem Thema. Sie hatte bereits im Juni 2016 ein „Forum Abstammungsrecht“ organisiert. Außerdem gab es bereits 2017 Vorschläge einer Arbeitsgruppe beim Bundesjustizministerium, wie das Abstammungsrecht modernisiert werden könnte. Daraus ist leider bis heute keine Gesetzgebung erfolgt. Das Embryonenschutzgesetz von 1990 muss jedoch dringend reformiert werden, denn die gesellschaftlichen und medizinischen Entwicklungen sind längst vorangeschritten. Die rechtspolitische Bewertung der Reproduktionsmedizin müsse allerdings neben den juristischen Problemstellungen medizinische, sozialpolitische, psychologisch- und ethisch-moralische Fragen berücksichtigen, betonte Rechtsanwalt und Notar a.D. Wolfgang Schwackenberg, der die Veranstaltung gemeinsam mit Rechtsanwältin Eva Becker moderierte.

v.l.n.r.: RA Dr. Marko Oldenburger, Prof. Dr. med. Annika Ludwig, RA u N a.D. Wolfgang Schwackenberg, Prof. Dr. med. Dr. phil Sabine Salloch

Medizinische Hilfen und Risiken

Welche Möglichkeiten es gibt, neues Leben zu ermöglichen, erläuterte die Ärztin Prof. Dr. Annika Ludwig, die zu dem Thema „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland“ bereits an der Expertenkommission der Leopoldina, Akademie der Wissenschaften, beteiligt war und in Hamburg eine Praxis für Frauengesundheit und Pränatalmedizin leitet. Eltern, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt, kann durch medizinische Eingriffe geholfen werden, zum Beispiel durch die Invitro-Fertilisation. Dass dabei gesundheitliche Risiken entstehen können, sollte Teil der ärztlichen Aufklärung sein. Neben den medizinischen Grenzen – eine Schwangerschaft kann nicht erzwungen werden – gebe es auch rechtliche Grenzen. So ist die Embryonen-Selektion verboten, ebenso die Eizellspende und die Leihmutterschaft. Den Ärzten ist die medizinische und psychologische Beratung in diesen Fragen strafbewehrt untersagt.

Reformbedarf im Recht der Reproduktionsmedizin

Dass diese Regeln zumindest in Frage gestellt werden müssen, wurde im Vortrag von Dr. Marko Oldenburger deutlich. Der Fachanwalt für Medizinrecht und für Familienrecht, Mitglied im DAV-Ausschuss Familienrecht, kennt sich bestens aus in Fragen des „Kinderwunschrechts“, wie Eva Becker sein Spezialgebiet bezeichnete. Mit den rigiden Verboten im Embryonenschutzgesetz habe der Gesetzgeber Risiken und Missbräuchen entgegenwirken wollen, die aber so nicht eingetreten seien, erläuterte der Anwalt. Er schilderte die verschiedenen Problemlagen, die entstehen können, wenn beim unerfüllten Kinderwunsch medizinisch nachgeholfen wird. Es sind ja nicht nur Frau und Mann, sondern auch homosexuelle Paare oder auch Single-Frauen, die sich Hilfe wünschen, um das ersehnte Kind zu bekommen. Oldenburger führte für den rechtspolitischen Handlungsbedarf zahlreiche Beispiel an: so sollte die Eizellenspende analog der Samenspende nebst Spenderinnenregister legalisiert werden; Frauen und Frauenpaare sollten einen Rechtsanspruch auf künstliche Befruchtung haben und eine altruistische Form von Leihmutterschaft nach englischem Vorbild sollte eingeführt werden. Bei der Reform sollten getrennte gesetzliche Neuregelungen für Wissenschaft u. Forschung auf der einen Seite (z.B. Reproduktionsmedizingesetz) und für ärztliche Behandlungen bei Kinderwunsch auf der anderen Seite (z.B. Fortpflanzungsmedizingesetz, Bioethikgesetz) entstehen.

Reform des Abstammungsrechts - Regelungen für die Elternschaft

Für die renommierte Rechtswissenschaftlerin Prof. em. Dr. Dr. h.c. Dagmar Coester-Waltjen¹ ergibt sich die Reformbedürftigkeit des Abstammungsrechts nicht nur aus den Veränderungen der Fortpflanzungsmöglichkeiten durch die Medizin und auch nicht nur aus der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften als Grundlage für die Familie und für die Ehe. Vielmehr sei das geltende Recht schon allein durch die gewandelten Einstellungen zu Sexualität, Fortpflanzung, Paarbeziehung und Elternschaft reformbedürftig geworden. Als Beispiele nannte sie hier die grundsätzliche Frage zur Anfechtung in der Vaterschaft des Ehemannes, auch in den Fällen, in denen das Ehepaar schon sehr lange getrennt lebt. Hinzu komme, dass durch kleinere Reformen teilweise im Hinblick auf reproduktionsmedizinische Maßnahmen – wie die Samenspende – und anderen Teilreformen ein Konglomerat von Regelungen entstanden sei, das kaum noch grundlegende Prinzipien erkennen lasse, ein „Flickenteppich mit Löchern und Stolperknoten“.
Ist die wahre Eltern-Kind-Beziehung durch Genetik und Biologie bestimmt oder spielt auch, und wenn ja, in welchem Maße, die persönliche Verantwortungsübernahme für das Kind eine Rolle? Wer zum Beispiel ist der Vater des von einer Samenspende gezeugten Kindes? Warum darf neben der Geburtsmutter nicht eine weitere Frau die zweite Elternstelle eines Kind besetzen? Bei der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung ist für Prof. Coester-Waltjen die Forderung nach einer umfassenden Absicherung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung und des eigenen Nachwuchses besonders wichtig. Ein reformiertes Recht könnte im Übrigen für alle Arten von Zeugung gelten und müsste nicht zwischen Zeugung durch Geschlechtsakt, Zeugung mit medizinischer Unterstützung oder sonstiger Zeugungshilfe unterscheiden. Sie beendete ihren fulminanten Vortrag über das Abstammungsrecht mit konkreten Formulierungsvorschlägen für eine Gesetzesreform. Darin sollte nicht mehr von Mutter und Vater, sondern von Elternteilen die Rede sein, um so die Zuordnung zu vereinfachen.²


¹ Foto von der Herbsttagung der Familienanwälte 2016

² Der Vortrag von Prof. em. Dr. Dr. h.c. Dagmar Coester-Waltjen ist in der Zeitschrift Forum Familienrecht Nr. 7/8, S. 279 ff abgedruckt

Ethische Fragen am Lebensanfang und Blicke ins Ausland

Über ethische Fragen informierte die Medizinerin und Philosophin Prof. Dr. med Dr. phil Sabine Salloch von der medizinischen Hochschule Hannover. Wann beginnt das Leben? Ab wann ist menschliches Leben schützenswert? Ethisch gesehen bewege sich die Fortpflanzungsmedizin in einem komplexen Spannungsfeld, stellte sie in ihrem Vortrag fest. Nicht nur Wertungen über den moralischen Status frühen Lebens seien dabei zu berücksichtigen, sondern auch Chancen und Risiken für alle Beteiligten. Gesellschaftliche und kulturelle Aspekte müssten ebenfalls einbezogen werden. Unter welchen Bedingungen sollte die Eizellspende oder die Leihmutterschaft erlaubt sein? Wie kann soziale Gerechtigkeit erreicht werden? Um den Antworten auf diese Fragen näher zu kommen, warf Prof. Dr. Bettina Heiderhoff, Professorin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Leiterin des Instituts für Deutsches und Internationales Familienrecht, zum Abschluss der Veranstaltung einen Blick in andere europäische Staaten, in denen bereits mehr erlaubt ist als hierzulande. Eizellspende und Leihmutterschaft einfach zu verbieten, sei eine Quelle von Ungleichheit und Ungerechtigkeit. resümierte Wolfgang Schwackenberg und brachte hier den Begriff „Fortpflanzungstourismus“ ins Spiel. Denn wer über die entsprechenden finanziellen Mittel verfüge, könne sich heute schon seinen Kinderwunsch erfüllen. Auch das markiert den überaus dringenden Reformbedarf des Abstammungsrechts.

Der traditionelle Empfang der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Anschluss an die Veranstaltung fand zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wieder „live und in Farbe“ statt. Endlich konnten sich die Gäste und Ehrengäste aus der Anwaltschaft, aus der Richterschaft und der Politik persönlich begegnen. Sowohl die DAV-Präsidentin Edith Kindermann als auch der neue Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Jochem Schausten dankten hier schon einmal im Vorgriff auf die Herbsttagung Ende September 2022 in Leipzig ganz besonders der scheidenden Vorsitzenden Eva Becker für ihr großes Engagement der letzten zehn Jahre. Die Arbeit im Familienrecht werde nicht weniger, betonten beide in ihren Ansprachen, sei es bei der Umsetzung des hoffentlich bald reformierten Abstammungs- und Namensrechts, sei es beim Kindesunterhalt, beim nachehelichen Unterhalt, oder bei der Evaluation des Versorgungsausgleichs.

Der neue Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, RA Jochem Schausten, begrüßt die Gäste
RAin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins
v.l.n.r. RAin u N’in Silvia C. Groppler, RAin Eva Becker, RA Wolfgang Schwackenberg

Mitgliederversammlung und Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses

Bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, die vor der Fachveranstaltung stattgefunden hatte, wurden die Wahlen zum Geschäftsführenden Ausschuss nachgeholt. Denn bei der nur im virtuellen Rahmen organisierten Herbsttagung im November 2021 konnten sie nicht durchgeführt werden.

Nachdem sich die langjährige Vorsitzende Rechtsanwältin Eva Becker, Berlin, nicht noch einmal zur Wahl gestellt hatte und auch Rechtsanwältin Undine Krebs, München, nicht mehr kandidierte, wurden zwei neue Mitglieder gewählt: Rechtsanwältin Silke Morsch, Schwetzingen, und Rechtsanwalt Dr. Fritz Rolf Osthold, Pinneberg. Neben dem neuen Vorsitzenden Jochem Schausten, Krefeld, wurde Rechtsanwältin und Notarin Katrin Bender, Worpswede, zur stellvertretenden Vorsitzenden ernannt. Bestätigt wurden die bisherigen Ausschussmitglieder Argiris Balomatis, Tübingen, Dr. Christian Grabow, Ludwigslust, und Inge Saathoff, Oldenburg. Aus dem DAV-Vorstand entsandt ist weiterhin Gerd Uecker, Hamburg. Bewährte Geschäftsführerin im DAV bleibt Christine Martin.

v.l.n.r. RAin Inge Saathoff, RAin Silke Morsch, RA Dr. Fritz Rolf Osthold, RA Jochem Schausten, RA Gerd Uecker, RAin u N’in Katrin Bender, RA Dr. Christian Grabow, RA Argiris Balomatis