DAT 2021 - Nachlese

Familienrecht auf dem virtuellen Anwaltstag vom 7. bis 11. Juni 2021

Die Moderatorinnen in Berlin, Oldenburg und München, der Moderator in Ludwigslust, die Referentinnen und Referenten ebenfalls über die Bundesrepublik verteilt, zusammengeschaltet per Kamera und Mikrofon an den Bildschirmen, das war eine fast schon gewohnte Veranstaltungsform nach anderthalb Jahren Pandemie. Die 125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer profitierten von den überaus informativen Vorträgen auf der Fachveranstaltung Familienrecht.

Abstammungsrecht

Rechtsanwältin Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, bedauerte zutiefst, keine neuen Reformvorschläge des Gesetzgebers vorstellen zu können. Denn die gesellschaftliche Entwicklung macht Neuerungen im Familienrecht dringend nötig, auf fast allen Gebieten. Es gebe lediglich einen nicht veröffentlichten Entwurf, der jedoch laut Bundesjustizministerin nicht der große Wurf sei. Und die letzte in Erinnerung gebliebene Reform – die „Ehe für alle“ – sei so schnell verabschiedet worden, dass man sich offenbar gar nicht darüber klar geworden sei, was daraus für das Familienrecht eigentlich folgt. Zum Beispiel die „Mitmutterschaft“, wenn ein Kind in die gleichgeschlechtliche Ehe hineingeboren wird oder ein Anfechtungsrecht nicht nur die „Mitmutter“, sondern auch für die Mutter, die das Kind geboren hat. Und wäre es nicht ohnehin besser, wenn sich drei Eltern statt zwei, jedenfalls nicht nur eine Mutter oder ein Vater um ein Kind sorgt?

RA u N a.D.Wolfgang Schwackenberg, Oldenburg, RAin Eva Becker, Berlin, moderierte

Diesen Fragen, die aus der Reproduktionsmedizin und neuen gesellschaftlichen Lebensformen entstehen, widmete sich Rechtsanwalt und Notar a.D. Wolfgang Schwackenberg aus Oldenburg im ersten Teil der Veranstaltung. Seit Jahren ist er damit befasst, wie ein modernes Abstammungsrecht in Zukunft neu gefasst werden könnte. Unter anderem hat Schwackenberg in der Arbeitsgruppe „Abstammung“ im Justizministerium mitgearbeitet, die bereits 2017 einen mehr als 80 Seiten starken Bericht mit Reformvorschlägen vorgelegt hat. In seinem Vortrag ging er auch auf die die Eizellspende und die Leihmutterschaft ein, die hierzulande verboten sind, um eine „gespaltene Mutterschaft“ zu vermeiden. Dennoch müsse sich der Gesetzgeber mit dem Problem befassen, weil immer mehr Kinder mittels Leihmutterschaft im Ausland geboren würden und dann nach Deutschland kämen.

Neue Familienformen brauchen neue Regeln

Die Herausforderung der gleichgeschlechtlichen Ehe und die Entwicklung der Reproduktionsmedizin, so Schwackenberg, machen eine Anpassung des Abstammungsrechts erforderlich. Wenn ein Kind mit der Spende aus einer Samenbank gezeugt wurde, kann die Mutter den Spender nicht als Vater feststellen lassen. Wenn es keinen „Wunschvater“ gibt, der die Vaterschaft anerkennt oder mit der Mutter verheiratet ist, besteht die Gefahr, dass das Kind vaterlos bleibt. Auch bei der gleichgeschlechtlichen Ehe oder Partnerschaft von zwei Frauen besteht die Gefahr, dass für ein Kind, das mit einer Spende aus der Samenbank gezeugt wurde, nur ein Elternteil verantwortlich sein kann, weil nach bisherigem Recht die Ehefrau der Mutter nicht automatisch die rechtliche Elternstelle einnimmt. Die nicht verheiratete Partnerin der Mutter hat keine Möglichkeit, die Elternschaft anzuerkennen. Wolfgang Schwackenberg schlug vor, dass in Zukunft die Eheschließung und auch die Anerkenntnis die zweite Elternstelle vermitteln sollen, wie es bislang schon bei Mutter und Vater geregelt ist. Begrifflich sollte die Elternschaft in einer Norm geregelt, also nicht mehr zwischen Mutter- und Vaterschaft unterschieden werden. Dann gäbe es auch keine sprachlichen Schwierigkeiten wie „Co-Mutter“ oder „Mitmutter“. Sowohl das Kammergericht als auch das Oberlandesgericht Celle haben unlängst dem Bundesverfassungsgericht Verfahren zu diesen Rechtsfragen zur Prüfung vorgelegt. Aber vielleicht, so resümierte Eva Becker, werde es dem Gesetzgeber doch noch gelingen, den Karlsruher Richtern mit einer Reform zuvorzukommen.

Kindschaftsrecht

RA Jörg Mannel, Frankfurt am Main, RA Dr. Christian Grabow, Ludwigslust, moderierte

Auch im Vortrag von Rechtsanwalt Jörg Mannel aus Frankfurt am Main ging es um die neue Vielfalt der Lebensformen. Er spielte verschiedene Varianten von Sorgerechts-, Umgangsrechts- und Kindesrechtsfällen durch. Bei der Übertragung des Sorgerechts werden Kriterien wie die allgemeine Erziehungsfähigkeit, der Kindeswille und die ausreichende Bindungstoleranz beachtet. In seiner Praxis, so Mannel, sei das Kontinuitätsprinzip häufig ausschlaggebend gewesen. Im Gerichtsverfahren oder auch im Sachverständigengutachten werde darauf geschaut, wie die Betreuung in der Vergangenheit gehandhabt wurde und dann daraus die Prognose für die Zukunft getroffen.

Da stelle sich allerdings die Frage, ob die neue Familiensituation im Falle einer Trennung so wirklich wiedergegeben wird. Der Vater wolle eben nicht mehr der „Umgangspapa“ am Wochenende sein, er wolle seine Kinder aufwachsen sehen und weiterhin in der Erziehung und Betreuung Verantwortung übernehmen, also im Wechsel mit der Mutter für das Kind da sein. Dazu sei er auch bereit, seine Arbeitszeiten zu reduzieren. Manche Befürworter des Wechselmodells hätten hier die falsche Vorstellung, dass damit die Kindesunterhaltszahlungen wegfallen. Das sei aber nicht zwangsläufig der Fall, so Mannel. Man müsse auch im Blick behalten, dass Mütter, die bisher hauptsächlich die Betreuung übernommen haben, ohne Unterhaltseinkünfte nicht einmal die Miete aufbringen könnten. Nach der jetzigen Rechtsprechung bekommt der Elternteil, der mehr als 50 Prozent der Betreuung leistet, den Kindesunterhalt. Deshalb würden Entscheidungen der Eltern sich nicht immer nach dem Kindeswohl ausrichten, sondern nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten. Rechtlich sei nicht klar, wo das Wechselmodell anzusiedeln ist, etwa im Umgangsrecht oder im Aufenthaltsbestimmungsrecht. Hier wünscht sich Jörg Mannel eine bessere Struktur im Gesetz. In seinem sehr umfangreichen und detaillierten Vortrag sprach er auch von so genannten Umgangsverweigerern, schreckliche Fälle, in denen die Kinder am Ende mit niemandem mehr reden wollen und sich komplett verschließen.

Unterhaltsrecht

RA Rolf Schlünder, Mannheim, RAin Dr. Undine Krebs, München, moderierte

Über Reformbedarf im Unterhaltsrecht sprach Rechtsanwalt Rolf Schlünder aus Mannheim und griff zunächst ebenfalls die Problematik des Wechselmodells auf. Er bedauerte, dass es nicht wenigstens zu der Minireform gekommen sei, die bereits im Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums enthalten war: im paritätischen Wechselmodell soll jeder Elternteil Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen können. Wäre dieser Satz ins Gesetz eingefügt worden, hätte es für die Praxis Erleichterung gebracht und es wäre immerhin ein Schritt mehr in Richtung Reform gewesen, nämlich die Betreuungsleistung beider Eltern angemessen abzubilden.

Beim Betreuungsunterhalt gebe es bisher keine Initiative des Gesetzgebers, aber auch hier seien Reformen längst überfällig. Und die Sprache der entsprechenden Vorschriften gebe an manchen Stellen die verstaubte Atmosphäre des 19. Jahrhunderts wieder: wenn „die nichtverheiratete Mutter durch ihr sittliches Verschulden bedürftig geworden ist“ oder „wenn sie ihre eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Vater gröblich vernachlässigt hat“, kann ihr Unterhalt gesenkt werden. Solche Formulierungen gehörten sicher nicht in das moderne Unterhaltsrecht, so Schlünder, zumal sie heute in der Praxis kaum eine Rolle spielen. Weitere mögliche Reformen sieht er beim „Kinderverbund“ und beim „Realsplitting“. Die Reform des Ehegattenunterhalts von 2007 hob er lobend hervor. Die Begrenzungsmöglichkeit für alle nachehelichen Unterhaltsansprüche habe einen bedeutenden Strukturwandel vollzogen.
Aber die längst fällige große Familienrechtsreform, an der verschiedene Arbeitsgruppen und Initiativen seit langem arbeiten, schiebe der Gesetzgeber vor sich her. Seiner Aufgabe, gesellschaftliche Verhältnisse zu gestalten, komme er nicht nach. Wenn die große Reform des Familienrechts in Interviews vollmundig angekündigt und in der Mitte der Wahlperiode ausgeschlossen wird; wenn an deren Ende nicht einmal die Kraft reicht, einer Minireform den Lebenshauch einzublasen, sei dies kritikwürdig.

Versorgungsausgleichsrecht

v.l.n.r.: RAin Inge Saathoff, Oldenburg, moderierte, RAin Eva Becker, Berlin und Dr. Gudrun Lies-Benachib, Vors. Ri’in OLG Frankfurt, Familiensenat Kassel

Am 1. August 2021 tritt eine Änderung im Versorgungsausgleichsgesetz in Kraft. In dieser kleinen Reform geht es um Grenzwerte, die auf eine neue Art berechnet werden und um die Möglichkeit für den Ausgleichsberechtigten, den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich zu wählen, wenn der Ehegatte Rente bezieht und der kapitalgedeckte Teil verzehrt ist.
Die letzte große Reform im Versorgungsausgleich wurde 2009 durchgeführt. Sie brachte viele Verbesserungen und hielt ihr Versprechen, ein übersichtliches Gesetz mit klarer und verständlicher Sprache zu schaffen. Dennoch gibt es an einigen Stellen weiteren Reformbedarf. Das Versorgungsausgleichsrechts an den Schlusspunkt der Tagung zu setzen, war in der Chronologie der Themen – Abstammungs-, Kindschafts- und Unterhaltsrecht - sicherlich eine sinnvolle Überlegung, aber für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wegen der Kompliziertheit der Materie eine Herausforderung. Dr. Gudrun Lies-Benachib, Vorsitzende Richterin am OLG Frankfurt – Familiensenat Kassel, half mit ihrem anschaulichen und gut strukturieren Vortrag, diese Hürde zu überwinden. Sie zeigte, wo einige praktisch wichtige noch nicht erledigte Reformansätze im Versorgungsausgleichsrecht zu finden sind und erklärte, welche Probleme ihnen zugrunde liegen.

Sie sprach über vergessene und übergangene Anrechte, über die Gerechtigkeit der Anpassungs- und Abänderungsregeln im Versorgungsausgleich und über die sehr aufwändige Anwendung der Geringfügigkeitsklausel. Sie berichtete auch über Bestrebungen, den Versorgungsausgleich als undurchdringliches Expertenrecht ganz abzuschaffen. Davon hielt Lies-Benachib allerdings nichts, denn auch wenn der gesellschaftliche Wandel den Versorgungsausgleich in manchen Fällen überflüssig werden lasse, weil zum Beispiel weniger Ehen geschlossen und auch weniger Ehen geschieden werden, könne auf den Ausgleich nicht verzichtet werden. Denn solange Kinder betreut werden müssen und nicht beide Eltern gleichermaßen arbeiten können, dürfe der Versorgungsausgleich nicht abgeschafft werden.
Der Beifall und der Dank für den „erfrischenden und informativen“ Vortrag erreichte die Referentin im Chat, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Fragen und Anmerkungen parallel zu den Beiträgen eintragen konnten.
Am Ende dieser erfolgreichen Tagung dankte Eva Becker der Anwaltakademie, die den technischen Ablauf der virtuellen Veranstaltung brillant gemeistert hatte. Vor allem aber appellierte Eva Becker noch einmal an den Gesetzgeber, er solle die dringend notwendigen Reformen im Familienrecht endlich anpacken, denn hier würden die zentralen Themen der Gesellschaft verhandelt. „Zum Schluss wünschen wir uns alle nichts mehr, als dass wir uns am 25. und 26. November dieses Jahres in Berlin live und in Farbe bei der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft endlich wiedersehen!“